In den Jahren 1954 bis 1972 schuf Asger Jorn (1914-1973), einem breiteren Publikum als bedeutender Maler bekannt, in Albisola, Italien, eine Reihe ausdrucksstarker, dreidimensionaler Arbeiten in Keramik, Bronze und Marmor, die sein künstlerisches Ziel, "den Stoff im Namen des Menschen zum Reden zu bringen", besonders eindrucksvoll vor Augen führen. Anhand zahlreicher Leihgaben aus Kunstsammlungen in Italien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Dänemark gewährt die Ausstellung im Museum Villa Stuck erstmals Einblick in diesen spezifischen Schaffensbereich des dänischen Künstlers.
Jorn sah in der Keramik ein wichtiges künstlerisches Gestaltungsmittel, gleichwertig den anderen Medien, derer er sich bediente. Die geschmeidige Bildsamkeit der Tonerde kam seinem künstlerischen Temperament und plastischen Gestaltungswillen entgegen. Meisterhaft wusste er die große Spannweite des Gestaltens, die das keramische Material bietet, zu nutzen, - vom Umformen vorgefertigter Töpfergegenstände bis zur freien Formschöpfung, vom Flächenbild über das Relief bis zum vollplastischen Gebilde; und wie kein anderer verstand es Jorn, in seinen Arbeiten Volumen, Farbe und Linie, ein Dreiklang, den nur die Keramik zu erzeugen erlaubt, miteinander ins Spiel zu bringen.
Mit der Ausstellung soll erstmals dieser wichtige, bislang noch wenig erforschte Bereich der Kunst Jorns in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden.
Die Ausstellung im Museum Villa Stuck zeichnet Jorns Weg vom ersten Höhepunkt seines keramischen Schaffens in Italien im Sommer 1954 bis hin zu seinen im Herbst 1972 - seinem letzten Schaffensjahr - entstandenen Skulpturen aus Marmor. Zu sehen sind nahezu sechzig Werke in Keramik, - Teller, Reliefs und Figuren, zudem Bronzeplastiken und Marmorskulpturen. Die Ausstellung steht in der Tradition Jorns erster Einzelausstellung in Deutschland Asger Jorn, Ölbilder , die am 3. September 1958 in der damals in den Räumlichkeiten der Villa Stuck beheimateten Galerie van de Loo eröffnet wurde. Hingewiesen sei auch auf die vom Museum Villa Stuck organisierte Ausstellung über die Gruppe SPUR, mit deren Mitgliedern Jorn während seines Aufenthaltes in München Ende der 1950er Jahre enge Kontakte pflegte; sie ist derzeit in der St. Annen Kunsthalle, Lübeck, zu sehen.
Asger Jorn in Italien wurde von der deutschen, in Rom lebenden Kunsthistorikerin Dr. Ursula Lehmann-Brockhaus kuratiert. Begleitend zur Ausstellung erscheint eine von ihr herausgegebene, reich bebilderte Publikation, in die die Ergebnisse jahrelanger Forschungstätigkeit eingeflossen sind. Sie ist die erste umfassende Darstellung von Jorns keramischem Schaffen in Italien und enthält u.a. Texte des Künstlers sowie Erinnerungen von Zeitzeugen an die Jahre in Albisola.
Weitere Stationen der Ausstellung sind das Silkeborg Kunstmuseum in Dänemark (17. Februar bis 29. April 2007) sowie die Kunsthalle in Emden (4. August bis 14. Oktober 2007).
Zur Ausstellung
Bereits in den Jahren 1952/53 arbeitete Asger Jorn, angeregt durch die Bekanntschaft mit dem Maler und Keramiker Erik Nyholm, in den Werkstätten der Silkeborger Gegend intensiv mit Keramik, - oft nach Vorzeichnungen und an Gegenständen, die vom Töpfer auf der Drehscheibe hergestellt worden waren.
Nachdem Jorn sich im Frühjahr 1954 mit seiner Familie in Albisola, einem traditionsreichen Töpferort an der ligurischen Riviera di Ponente, in der Nähe von Genua, niedergelassen hatte, vollzog sich eine markante Veränderung seiner Gestaltungsweise. In der neuen künstlerischen Atmosphäre Albisolas fand Jorn die besten Voraussetzungen und wichtige Anregungen, seine Ausdruckskraft im Gebrauch von Tonerde und Glasuren zu steigern und im freien Experimentieren in Keramik jene Spontaneität zu entwickeln, die für seine künstlerische Handschrift charakteristisch werden wird.
1954 organisierte er in Albisola in Zusammenarbeit mit seinen Künstlerkollegen Baj, Matta, Appel und Corneille den Incontro internazionale della ceramica , ein Treffen von Künstlern und Schriftstellern, in dessen Mittelpunkt das freie künstlerische Experimentieren mit Keramik stand. In den im Sommer 1954 geschaffenen Werken fand er zu einer expressiven, frei improvisierenden Art des Modellierens und erprobte diese insbesondere in verschiedenen Relieftypen, für die er eine Verwendung als Baudekor vorgesehen hatte. In diesem Sinn schuf er 1959 für die Eingangshalle des staatlichen Gymnasiums in Aarhus ein monumentales, 3 x 27 m messendes Keramikrelief. Dank der kreativen Kraft, mit der er auf dieser riesigen Fläche eine ausdrucksstarke Modellierung mit einem außergewöhnlichen Farbenreichtum der Glasuren verbindet, stellt dieses Werk eines der bedeutendsten Zeugnisse von Jorns Kunst dar.
In den sechziger Jahren entstanden plastische Gebilde in Keramik, in denen Jorn im Modellieren zunehmende Freiheit gewann und seinem bildnerischen Denken über die Fläche hinaus auch im Dreidimensionalen Ausdruck verleihen konnte. Kennzeichnend für die Keramiken der sechziger Jahre ist eine aus einem großzügig modellierenden Gestus entspringende, besondere Dynamik, die als Grundzug seiner Gestaltungsweise und Kennzeichen seiner künstlerischen Handschrift angesehen werden kann.
In den Jahren 1970/71 schuf Jorn, neben einem 4 x 5 m messenden Relief für das neu errichtete Kulturhaus in Randers, eine Reihe großformatiger Teller in Keramik, - Rundbilder von großer Dramatik, in deren Ritzzeichnung und Farbauftrag sich Jorns sichere Hand verrät, die in ihrer bildschöpferischen Absicht keinen Unterschied zwischen Tongrund und Leinwand kennt.
Sein über die Jahre gewachsenes plastisches Gestaltungsvermögen führte ihn schließlich in seinem letzten Schaffensjahr hin zur Bildhauerei im strengen Sinn: vom Frühjahr 1972 an realisierte er 23 frei modellierte Plastiken in Terrakotta beziehungsweise Schamotte, die in Bronze gegossen wurden. Indes waren sie mehr als nur Modelle für den Guss: Jorn hat sie mit farbigen Oxyden behandelt und als in sich gültige Werke betrachtet. Zusammen mit den im selben Jahr in Carrara geschaffenen acht Marmorskulpturen, von denen die beiden größten als unvollendet angesehen werden müssen, bilden sie den Höhepunkt seines skulpturalen Werks.
In seinen späten bildhauerischen Arbeiten vermochte Jorn die auf der Fläche verfolgten gestalterischen Ziele in letzter Konsequenz zu verwirklichen und jene formale Mehrdeutigkeit zu erzielen, die für ihn den wesentlichen Ausdruckswert darstellte.
Bei seinem Tod am 1. Mai 1973 hinterließ Jorn ein bedeutsames, in seiner intensiven Kreativität und expressiven Bildhaftigkeit kaum übertroffenes keramisches Oeuvre, das mit der Ausstellung im Museum Villa Stuck, über dreißig Jahre nach dem Tod des großen dänischen Künstlers, erstmals umfassend gewürdigt wird.
Katalog
Asger Jorn in Italien. Werke in Keramik, Bronze und Marmor 1954-1972
Zur Ausstellung ist eine 288 Seiten umfassende Publikation von Ursula Lehmann-Brockhaus mit mehr als 200 Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß erschienen, Silkeborg Kunstmuseum Verlag, Dänemark, ISBN 87-87932962.