Brian Jungen -

Brian Jungen: Cetology (Cetologie), 2002, Plastikstühle, Vancouver Art Gallery, Foto: Trevor Mills, Vancouver Art Gallery
Brian Jungen: Cetology (Cetologie), 2002, Plastikstühle, Vancouver Art Gallery, Foto: Trevor Mills, Vancouver Art Gallery

Die Ausstellung in München wird von der Landeshauptstadt München finanziert.

Der kanadische Künstler Brian Jungen, 1970 in Vancouver geboren, erregte erstmals Aufmerksamkeit mit einer Serie von Masken, die an Kultobjekte nordamerikanischer Indianer erinnern - genäht aus zerschnittenen Nike-Turnschuhen. Prototypes for New Understanding (1998 - 2003) nannte Jungen diese Analyse moderner Praktiken und Riten, mit der er die magischen Komponenten der Rezeptur einer Weltmarke dechiffrierte. Ausgehend von Gegenständen des globalen Alltags dekonstruiert Jungen, der der Kultur der kanadischen Dane-Zaa-Indianer (First Nation) angehört, Begriffe, die dem Verständnis zeitgenössischer Kultur zugrunde liegen.

Die Ausstellung beleuchtet das komplexe Schaffen des Künstlers mit einer Vielzahl von Objekten - darunter die komplette Serie von 23 Prototypes - von frühen Plastiken bis zu groß angelegten Installationen. Die Ausstellungstournee präsentiert Brian Jungens Werke zum ersten Mal in diesem Umfang in Europa, das Museum Villa Stuck ist die einzige Station der Ausstellung in Deutschland.

Brian Jungens Skulpturen und Installationen kommentieren kulturelle und soziale Fragen augenscheinlich als Auseinandersetzung mit Massen- und Konsumgütern. International bekannt wurde Jungen, als er mit Cetology einen fast ausgestorbenen Lieblingsorganismus der Moderne, den Wal, zum weltweit reproduzierbaren Konsumobjekt skelettierte. Cetology ist ein lebensgroßes anatomisches Modell des Meeressäugers aus der global geläufigsten Sitzgelegenheit, dem weißen, stapelbaren Plastikstuhl. Vielschichtig angelegt, bergen Jungens Werke Reflexionen über Dynamik und Dialektik von nativer und globaler Kultur, Kommentare zur westlichen Kunstgeschichte und zum musealen Betrieb. Sie enthalten eine starke Betonung von Material und Handwerk und entziehen sich jeder direkten Einordnung. Ironie und historisches Bewusstsein spielen eine enorme Rolle in Jungens Konzeptkunst: Beer Cooler, eine Kühlbox mit Ornamentik der Bikerszenegibt den Eroberern des indianischen Kontinents die mitgebrachten Segnungen zurück.

Jungens Kunst ist deplaziert. Das Prinzip, Unvereinbares zu kombinieren, die erstaunliche Verschiebung von Kontexten und Grenzen sowie die spürbare Lust an Zweckentfremdung, Ironie und Paradoxie machen Jungens hybride Produkte ebenso erfrischend wie hintergründig. Jungen untersucht nicht nur kulturelle Normen und den scheinbar gefestigten Boden, auf dem sie stehen. Er demontiert die Moderne anhand ihrer greifbarsten Erscheinung, dem allerorts verfügbaren Gebrauchsgegenstand - auf der Suche nach dem, was in einem neuen Verständnis von Kultur Platz haben und bleiben wird.

Zur Ausstellung

Brian Jungen gilt heute als der wichtigste kanadische Künstler seiner Generation. Seine Mutter kam aus dem Stamm der Dane-Zaa-Indianer, sein Vater aus einer Familie von Einwanderern aus der Schweiz. Jungens Biografie, die zweierlei Erbe in sich trägt, bildet den Hintergrund seiner Arbeiten, aber nur indirekt ihr Thema. Seine Skulpturen legen Kultur als hybrides Gebilde offen, als Fusion, in der weder westliche Traditionen noch die der Ureinwohner eine Vorrangstellung beanspruchen können. Jungen überwindet in seinen Arbeiten mit Raffinesse die landläufigen Diskurse über Authentizität und Identität - zugunsten der Frage nach den komplexen Zusammenhängen im Austausch von Ideen, Waren und Formen in einer sich formierenden globalen Kultur.

Dem uralten Repertoire der Magie entlehnt, perfektioniert der Grenzgänger Jungen die Technik der erstaunlichen Verwandlung des Objektes, die - verwirrend und attraktiv - gleichzeitig Annäherung und Entfremdung beinhaltet. Mit den Prototypes for New Understanding (1998 - 2003) wandte er das Prinzip auf Magie selbst an. In ihrer Ambivalenz sprengen Jungens urbane Fetische den Rahmen ethnografischer und musealer Präsentation parallel mit den Parametern magischer Beschwörung und der symbolischen Ordnung der Popkultur.

Jungen spielt mit ökonomischen und kulturellen Gütern und den Codes ihrer Repräsentation. Isolated Depiction of the Passage of Time (2002) besteht aus einer Transportpalette aus Zedernholz, auf der Kantinentabletts aus einem Gefängnis gestapelt sind: eines für jeden Ureinwohner im kanadischen Strafvollzug. Inspiriert wurde die Skulptur durch einen Fluchtversuch mit Hilfe einer Konstruktion von Servicebrettern. Sie vereint Gebrauchsgüter, die sehr unterschiedlich der Idee der Bewegungsfreiheit verhaftet sind, zu einem ästhetischen Objekt, das an die Minimal Art erinnert - nicht ohne deren Konzept auf den Kopf zu stellen. Jungen lädt Alltagsmaterialien mit ästhetischer und politischer Bedeutung auf, seine Arbeiten reklamieren Ästhetik als unverzichtbaren Bestandteil von Kulturkritik.

Die Praxis von Verwandlung und Verdoppelung, die klug kalkulierte Zweckentfremdung korrespondiert mit Jungens Strategie, verborgene Innenräume freizulegen, ohne dabei dem Material eine untergeordnete Rolle zuzuweisen. Das Walskelett, die Knochen von Cetology , sind untrennbar verknüpft mit einer ganzen Reihe möglicher Assoziationen - im Material verankerte Verknüpfungen, die die Grenzen von Plastik, naturkundlichem Anschauungsobjekt, Kritik am Warenfetischismus und religiös, politisch oder romantisch besetzter Symbolik transzendieren.

Jungen fordert die Betrachter zum Nachdenken über vielfältige und reflexive Verflechtungen von Modernisierung, Mythos und Material angesichts verblassender Eindeutigkeit kultureller Überlieferungen auf. Die Ausstellung zeigt eine Bestandsaufnahme von Brian Jungens innovativem und vielschichtigem Schaffen, das scheinbare Gegensätze in Kunst, Gesellschaft, Tradition und Gegenwart überschreitet und zu einer zwingenden Analyse der globalen Kultur verschmilzt.

Biographie

Brian Jungen wurde 1970 in Ford St. John, in British Columbia, Kanada geboren.

Er gewann schnell internationales Renommee als einer der vielversprechendsten Künstler Kanadas. Die umfassende Ausstellung von Brian Jungens Werk war im New Museum of Contemporary Art, New York (29. September 2005 - 31.Dezember 2005), in der Vancouver Art Gallery (28. Januar 2006 - 30. April 2006) und in Montréal im Musée d'art contemporain de Montréal (25. Mai 2006 - 10. September 2006) zu sehen. Nach Rotterdam, im Witte de With ( 2. Dezember 2006 - 11. Februar 2007), ist sie in Europa nur noch und als einzige Station in Deutschland im Museum Villa Stuck zu sehen.

Brian Jungens Werk war zuvor in Einzelausstellungen im Kunstforum Triple Candie in New York (2004), im Wattis Institute des California College of Arts in San Francisco (2004), in der Wiener Secession (2003), in der Henry Art Gallery in Seattle (2003) und in der Contemporary Art Gallery in Vancouver (2001) zu sehen. Brian Jungen war in Gruppenausstellungen wie der Gwangju Biennale in Korea (2004), im Castello di Rivoli Museo d'Arte Contemporanea in Turin (2003), im Frankfurter Kunstverein (2003), in der Renaissance Society in Chicago (2002) und im Kiasma Museum of Contemporary Art in Helsinki (2001) vertreten. 2002 erhielt er den Sobey Art Award, die höchst dotierte kanadische Auszeichnung für junge Künstler.

Katalog

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in englischer Sprache, herausgeben von der Vancouver Art Gallery. Der Katalog umfasst 162 Seiten. Neben mehr als hundert Farbabbildungen enthält der Band Beiträge der Kuratorin Daina Augaitis, von Cuauhtémoc Medina, Trevor Smith, Ralph Rugoff und Kitty Scott sowie ein Gespräch zwischen Brian Jungen und Simon Starling.