Das Museum Villa Stuck präsentiert Plakate und Veröffentlichungen Jan Tschicholds (1902 - 1974), der zu den herausragendsten und einflussreichsten Grafikern und Typografen des 20. Jahrhunderts zählt.
Die Ausstellung zeigt über 200 Plakate Tschicholds sowie seine persönliche Plakatsammlung, die Höhepunkte der Plakatkunst von Künstlern wie Hans Arp, El Lissitzky oder László Moholy-Nagy beinhaltet. Die Gegenüberstellung eigener Plakate mit Beispielen aus seiner Sammlung zeigt Tschicholds stets auch theoretisch manifestiertes Vorgehen, einen kunsthistorischen Kontext für seine eigene Arbeit herzustellen sowie einen vorbildhaften Rahmen für andere Gestalter zu schaffen.
Jan Tschichold machte die neue grafische Formensprache des frühen 20. Jahrhunderts einer breiten Öffentlichkeit durch seine Plakate und Publikationen zugänglich. Dabei stand er unter dem Einfluss bedeutender künstlerischer Strömungen der Zeit wie Futurismus, De Stijl, Dadaismus, Konstruktivismus und besonders des Bauhauses. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen proklamierte er eine neue Schriftgestaltung, die durch Asymmetrie, einfache Schrifttypen, klare Farben und die Verwendung der Fotografie anstelle der Illustration gekennzeichnet war. Diese Neue Typographie löste leidenschaftlich geführte Debatten aus, die bis heute beispiellos sind. Die oft sehr strenge Auslegung seiner Theorien, unterstrichen durch die direkte Ansprache an den Leser seiner Publikationen, macht der Ausstellungstitel »Schluß mit dem Schema F!« deutlich, ein Zitat aus Tschicholds wegweisendem Buch Die Neue Typographie (1928).
Tschichold lebte von 1927 bis 1933 in München und war Mitglied der Meisterschule für Buchdrucker. In dieser Zeit war er für das Erscheinungsbild des Phoebus-Palast in der Münchener Sonnenstraße, seinerzeit das größte Kino Deutschlands, verantwortlich und entwarf eine Vielzahl von Filmplakaten und Anzeigen. Außerdem gestaltete er Plakate und Anzeigen für das Graphische Kabinett in der Briennerstraße unter Leitung von Günther Franke, dessen Galerie von 1946 bis 1965 in der Villa Stuck beherbergt war.
Nach seiner Emigration 1933 in die Schweiz wandte sich Jan Tschichold von seinen radikalen Anfängen ab und zog fortan die traditionelle Gestaltungsweise der modernen (neuen) Typografie vor, die sich seiner Ansicht nach lediglich für Werbe- und andere kleine Drucksachen eignet, nicht aber für die Buchgestaltung, der nun sein volles Interesse galt.
Mit der Ausstellung über das Werk Jan Tschicholds führt das Museum Villa Stuck die Auseinandersetzung mit Schlüsselfiguren der modernen Kunstgeschichte fort. Bisher fanden u.a. Ausstellungen statt zu Leben und Werk von Hector Guimard, Alphonse Mucha oder Theo van Doesburg. Besonders der Einfluss des De Stijl, das von Theo van Doesburg gegründet wurde, ist für Tschicholds Verständnis wichtig.
Zur Ausstellung
Den Auftakt der Ausstellung bildet eine Auswahl von Plakaten aus der Sammlung Jan Tschicholds, die einen einzigartigen Eindruck der Plakatgestaltung jener Zeit vermittelt, und somit Kontext, Vorbilder und Mitstreiter der Neuen Typographie aufzeigt. Daneben führen verschiedene Drucksachen die Produktion des » rings neue werbegestalter « , dessen Mitglied Tschichold war, vor Augen. Darunter befinden sich Arbeiten von El Lissitzky, Kurt Schwitters, Walter Dexel, Herbert Bayer, Georg Trump, Hans Richter, Joost Schmidt, László Moholy-Nagy, Piet Zwart, CO Müller, Otto Baumberger, Hans Arp, Paul Schuitema, Georgi und Wladimir Stenberg, Gustav Klucis, Jean Carlu, Max Bill und Herbert Matter.
Jan Tschichold war fasziniert von den Zielsetzungen und der Formensprache des Deutschen Werkbundes und des Bauhauses. 1923 lernte er anlässlich der Bauhaus-Ausstellung in Weimar El Lissitzky und Moholy-Nagy kennen und begann, konsequent im Stil der Modernen Typographie zu arbeiten. In dieser Zeit nahm der als Johannes Tzschichold geborene Typograf den Namen Iwan an, den er später durch Jan ersetzte.
Es ist Anliegen der Ausstellung, dem Besucher neben den Plakaten Tschicholds Konzept der Neuen Typographie und seine theoretischen Ideen, die er durch Lichtbildvorträge, Bücher und Aufsätze zu vermitteln suchte, vor Augen zu führen. Tschichold war einer der wenigen Gestalter, der auf Grundlage einer typografischen Ausbildung die Ideen der Neuen Typographie umsetzen wollte. Er verbreitete seine typografischen Ideen nicht nur in der Praxis durch die Gestaltung von Plakaten und Druckschriften, sondern versuchte, diese einem möglichst breiten Publikum auch in theoretischer Hinsicht nahe zu bringen. Sein langjähriges Studium in Leipzig lieferte dafür die notwendigen Grundlagen. Durch seine Manifeste und Schriften gilt Tschichold seit langem als einer der populärsten Theoretiker der westeuropäischen Typografie des 20. Jahrhunderts.
Seit den späten 1920er Jahren veröffentlichte Tschichold viele Bücher und Artikel; 1 925 erschienen in der Beilage elementare typographie der Zeitschrift typographische mitteilungen zwei Aufsätze über die Neue Typographie . Sie entfachten eine leidenschaftliche und bis heute beispiellose Debatte über dieses Thema und machten Tschichold über Nacht zum Protagonisten in der grafischen und typografischen Fachwelt. El Lissitzky schrieb: » bravo, bravo, (...) es ist mir ein physischer Genuß, wenn ich so eine Qualitätsschrift in den Händen, Fingern, Augen halte. Meine Nervenantennen spannen sich, und der gesamte Motor verschnellert den Lauf. « Besonders sein Buch Die Neue Typographie aus dem Jahre 1928 beeinflusste die typografische Entwicklung entscheidend, gab der Neuen Typographie ein Regelwerk und analysierte sie.
Tschichold hielt auch verstärkt » lichtbildervorträge « über die » neue typographie « im deutschsprachigen Raum - nach den vergangenen hitzigen Debatten zu seinen Ideen versah er seine Plakate mit dem Vermerk » eine Diskussion findet nicht statt « , trotzdem endeten seine Vorträge oft in tumultartigen Debatten. Des weiteren entwickelte Tschichold viele Schriften, u.a. Zeus für Schriftguß KG (1931) oder »Saskia« für Schelter & Giesecke (1932).
Der dritte Teil der Ausstellung ist Tschicholds Plakatproduktion gewidmet - mit besonderem Augenmerk auf seine Münchener Jahre. Tschichold zog 1925 nach München, wo er ab 1927 an der Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker als Fachlehrer für Kalligrafie und Typografie tätig war.
Von 1926 bis 1928 entwarf er als freiberuflicher Typograf eine Vielzahl von Filmplakaten und Filmprogrammen für den Phoebus-Palast in München, Deutschlands größtes Kino mit über 2000 Sitzplätzen in der Sonnenstraße 8. Dadurch fanden seine gestalterischen Ideen weite Verbreitung und Tschichold prägte so das öffentliche Erscheinungsbild der 1920er Jahre in München entscheidend mit.
Plakate und Anzeigen, die Tschichold für das Graphische Kabinett von Günther Franke in der Briennerstraße 30 entwarf, sind wesentlicher Bestandteil der Ausstellung. Die Galerie Frankes befand sich von 1946 bis 1965 im Ateliergebäude der Villa Stuck, in dem auch die Ausstellung zu sehen ist.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er zusammen mit seiner Frau Edith wegen seiner » bolschewistischen und entarteten Typographie « in Schutzhaft genommen, verlor sein Dienstverhältnis als Fachlehrer und emigrierte mit seiner Familie nach Basel, wo er an der Allgemeinen Gewerbeschule als Fachlehrer für grafische und kunstgewerbliche Ausbildung lehrte.
Der vierte und letzte Teil der Ausstellung zeigt die Wandlung Tschicholds ab Ende der 1930er Jahre zum leidenschaftlichen Vertreter einer klaren, klassischen Makro- und Mikrotypografie : fortan zog er die traditionelle Typografie der modernen (neuen) Typografie vor. Er wandte sich von seinen radikalen Anfängen ab und einer traditionellen Gestaltung zu, was seine Kollegen irritierte. Zu seinen letzten Arbeiten im » Modernen Stil « dürfte das Plakat für die Ausstellung konstruktivisten zählen (1937 in der Basler Kunsthalle).
In den 1940er Jahren beschäftigte er sich ausschließlich mit der Antiqua geprägten Buch- und Lesetypografie im klassischen Stil von Aldus Manutius, Pierre Simon Furnier und Firmin Didot, seine Leidenschaft galt nunmehr der englischen Typografie. Er setzte sich mit Schriftgeschichte, Orientalistik und Paläografie auseinander, interessierte sich für chinesischen Farbendruck und schrieb sechs Bücher zu diesen Themen.
Katalog
Jan Tschichold. Plakate der Avantgarde
Zur Ausstellung ist ein Katalog von Martijn F. Le Coultre und Alston W. Purvis erschienen. Der Katalog umfasst 240 Seiten mit 150 Farbabbildungen.