Am 20. Oktober 1907 wurde in Wien das "Theater und Kabarett Fledermaus" eröffnet. Ausgehend von den künstlerischen Idealen der "Wiener Werkstätte" rückten Josef Hoffmann und Koloman Moser gemeinsam mit dem Unternehmer und Financier Fritz Waerndorfer damit die Welt des Theaters in das Zentrum ihres Interesses. Eine eigene Bühne schien dem aus der Secessionsbewegung hervorgegangenen Bündnis fortschrittlicher und innovativer Gestalter besonders geeignet, dem Anspruch auf Schaffung eines Gesamtkunstwerks entgegenzukommen. "Eine Stätte, die der Kultur der Unterhaltung dient", sollte entstehen. "Alle Sinne sollen hier gleichzeitig zum mindesten Anregungen, wenn möglich auch Befriedigung finden und keine von den Künsten ist ausgeschlossen ...", so das Ästhetische Progamm des "Kabaretts Fledermaus" aus dem Jahr 1907.
Der 100. Geburtstag des "Kabaretts Fledermaus" ist für das Museum Villa Stuck willkommener Anlass, nicht nur Theaterraum und Bühne der "Fledermaus" als "Aushängeschild" der Wiener Werkstätte zu präsentieren, sondern die künstlerischen Aktivitäten dieser kulturhistorisch hoch spannenden Einrichtung in ihrer Gesamtheit darzustellen. Eine Fülle neuer, bisher unbekannter Skizzen, Entwürfe, Fotos, Manuskripte und Dokumente, die in aufwändiger Forschungsarbeit zusammengetragen wurden, wird zum ersten Mal öffentlich ausgestellt.
Die Innenausstattung des "Kabaretts Fledermaus" wurde von Josef Hoffmann geplant, ihre Ausführung übernahm die Wiener Werkstätte. Neben Josef Hoffmann waren zahlreiche namhafte Künstler des Wiener Jugendstils an Einrichtung und Betrieb der legendären Kleinkunstbühne beteiligt, u.a. Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Moriz Jung, Josef von Divéky, Anton Kling, Franz Karl Delavilla und Eduard Josef Wimmer-Wisgrill. Neben der Möblierung wurden auch Plakate, Postkarten, Essbesteck bis hin zu den Anstecknadeln der Platzanweiserinnen von der Wiener Werkstätte entworfen. Zu den Schauspielern der "Fledermaus" zählten Marya Delvard sowie Lina Vetter, zu den Tänzerinnen Grete Wiesenthal und Gertrude Barrison, die Komponisten Konrad Scherber, Leo Ascher und Hannes Ruch sind ebenso vertreten wie die Autoren Peter Altenberg und vor allem die so genannte Polfried AG, Alfred Polgar und Egon Friedell, die einen Großteil der Texte verfassten.
Neben Beispielen der Bühnen- und Kostümgestaltung von Künstlern wie Josef Hoffmann, Berthold Löffler und Carl Otto Czeschka sind Programmhefte, Illustrationen und Druckerzeugnisse von Moriz Jung, Fritz Zeymer und Oskar Kokoschka zu sehen und werden Texte von Egon Friedell, Alfred Polgar und Peter Altenberg präsentiert. Legendäre Diseusen und Chansonnières wie Marya Delvard oder Mimi Marlow werden ebenso gewürdigt wie die Tänzerin Grete Wiesenthal und der früh-expressionistische Sonderweg, den der junge Oskar Kokoschka mit zwei Programmen in der "Fledermaus" einschlug.
Ein eigens für das Museum Villa Stuck eingerichteter Prolog zur Ausstellung zeigt das Münchner Kabarett "Die Elf Scharfrichter" (1901-03), das in engem Zusammenhang mit der Entstehung des "Kabaretts Fledermaus" steht und dessen erster Direktor, Marc Henry, nach dem Scheitern des Projekts in München einen Teil seines Ensembles nach Wien in die "Fledermaus" mitnahm.
Zur Ausstellung
Prolog: "Die Elf Scharfrichter" 1901-1903
Die Ausstellung im Museum Villa Stuck wird eingeleitet durch einen Prolog zum Münchner Kabarett "Die Elf Scharfrichter". Am 14. April 1901 feierte in München dieses politisch-literarische Kabarett seine Eröffnungsvorstellung. Gegründet wurde es mit dem Ziel, "alle Kunstgattungen zugleich in den Dienst der Unterhaltung" zu stellen. Es war u.a. entstanden aus der Auflehnung junger Künstler und Schriftsteller gegen einen im Frühjahr 1900 im Deutschen Reichstag eingebrachten Gesetzesentwurf zur Einschränkung der Künstlerischen Freiheit ("Lex Heinze"), der den Unzüchtigkeitsparagraphen im Strafgesetzbuch verschärfen sollte. Federführend bei der Gründung waren der Schriftsteller und Regisseur Otto Falckenberg, der Kritiker und Lyriker Leo Greiner und zuvorderst der in München lebende Franzose Marc Henry. Das Ziel war eine deutsche Spielart des "Cabaret artistique" nach dem Vorbild des "Chat noir" (1881), bei dem junge Dichter ihre grotesken, witzigen und anti-bürgerlichen Chansons in der intimen Sphäre eines Wirtshauses vortrugen.
"Die Elf Scharfrichter" brachten einem kunstsinnigen Publikum von jeweils nur hundert Personen dreimal wöchentlich Lyrisches in Lied und Chanson, Satirisches (das allerdings mehr kulturpolitische als rein politische Spitzen enthielt) sowie Pantomimen und Puppenspiel in literarischer Hochform vor - ein Künstlerbrettl, durch Hans Richard Weinhöppel auch musikalisch von hoher Qualität. An der Gestaltung der angriffslustigen Programmhefte und Plakate wirkten führende Künstler des Münchner Jugendstils, sowie Zeichner des "Simplicissimus" und der "Jugend" wie Thomas Theodor Heine, Bruno Paul, Arpad Schmidhammer, Julius Diez, Ernst Neumann, Olaf Gulbranson und Ernst Stern mit. Legendär ist die Darstellung der Marya Delvard, Star des Ensemles, von Thomas Theodor Heine. Frank Wedekinds Auftritte gehörten mit selbstkomponierten Liedern und moritatenhaften Bänkelliedern zu den vielbeachtetesten Beiträgen.
Der große künstlerische, personelle und technische Aufwand bei 100 Plätzen, 35 Mitwirkenden und monatlichem Programmwechsel brachte "Die Elf Scharfrichter" trotz ausverkaufter Vorstellungen an den Rand des geschäftlichen Ruins, die zunehmend verschärfte Zensur an das künstlerische Ende. Im Herbst 1904 löste sich das Kabarett auf.
Die Entstehung der "Fledermaus"
In Wien waren um die Jahrhundertwende, zum Teil nach Pariser Vorbild, einige Vorläufer-Institutionen entstanden - das "Jung-Wiener Theater zum Lieben Augustin", das "Moderne Cabaret" im Philipphof und das "Cabaret Nachtlicht" - zumeist mit nur mäßigen Erfolg beim Publikum. Demgegenüber stellte das "Theater und Kabarett Fledermaus" den Höhepunkt des Jugendstil-Kabaretts dar. Im Souterrain eines neu errichteten Hauses an der Ecke Kärntner Straße und Johannes Gasse gelegen, stand die Kleinkunstbühne von ihrer Gründung im Jahr 1907 an bis zu ihrem frühen Ende 1913, gemeinsam mit der "Loos Bar" (1908), für die Avantgarde in Kunst und Architektur.
Hier verweist die Geschichte des "Kabaretts Fledermaus" nach München, wo Peter Altenberg "Die Elf Scharfrichter" gesehen und ihre Qualität erkannt hatte. Nach zwei Gastspielen der "Scharfrichter" in Wien, bei denen die gelungene Verschmelzung von ursprünglicher Gesellschaftskritik und bayerischem Aberwitz mit dem französisch-existentialistischen Fluidum der Diseuse Marya Delvard großen Beifall gefunden hatte, kamen Ende 1905 Hans Richard Weinhöppel als musikalischer Leiter zusammen mit Marc Henry und Marya Delvard nach Wien, um einen Neubeginn zu wagen. Nachdem sie bis 1907 gemeinsam im "Cabaret Nachtlicht" aufgetreten waren, übernahmen sie ab 1908 die künstlerische Leitung der "Fledermaus" - womit französisches Flair in das Wiener Kabarett Einzug hielt.
Der Theaterraum von Josef Hoffmann
Josef Hoffmann hat die unveränderlichen baulichen Vorgaben des Gebäudes in der Kärntnerstraße optimal in seinen Entwurf einbezogen. Von der Eingangstüre, schräg durch den Bar-Raum, über den Eingang ins eigentliche Theater bis hin zur Bühne schuf er eine Achse, die beide Räume verband. Waren die Flügeltüren des Theaters offen, konnte man von der Bar aus der Aufführung beiwohnen. So entstand ein gewollter Dialog der beiden Räume und das Kabarett begann schon vor der eigentlichen Aufführung. Der nierenförmige Hauptraum mit den Logen und Galerien war schlicht in seiner Ausstattung, ganz im Sinn der neuen, vom Jugendstil inspirierten Stilbühne, wirkte aber dennoch gemütlich intim. Es wurde nur mit Vorhängen gearbeitet, deren Farbigkeit und Muster sowohl Stimmung als auch Ambiente auf der Bühne suggerieren konnte. Die dunkle Marmor-Lambris kontrastierte mit den weiß reliefierten Stuck-Wänden. Die einzigen Farben brachten die beiden Reliefs von Berthold Löffler auf der Brüstung der Galerie in den Raum sowie das farbig gestaltete Bühnenbild. Augenfälligstes gestalterisches Element des Kleinkunstlokals war ein aus 7000 Majolikaplatten bestehendes, von Berthold Löffler entworfenes buntes Mosaik, mit dem Wände, Bar und Garderobe bedeckt waren. Es sollte der Einstimmung auf das Erlebnis Kabarett dienen. Die von Josef Hoffmann eigens für die "Fledermaus" entworfene Sitzgruppe wird noch heute produziert.
Gesamtkunstwerk
Ein Gesamtkunstwerk
Das gesamte Interieur des Theaters, sämtliches Werbematerial und die Ausstattungsgegenstände wurden von Gestaltern entworfen, die entweder zu den Begründern der Wiener Werkstätte zu rechnen waren oder für sie arbeiteten. Die Kostüme, die dekorativen Hintergründe und oft auch die Inszenierung stammten aus nur einer Hand und es war in der "Fledermaus", wo zum ersten Mal in dieser Konsequenz der Prototyp des alle Kunstsparten überschreitenden Künstlers in Erscheinung trat, der seine Kompetenzen ausweitete und am Theater, wie einige Zeit später Oskar Schlemmer am Bauhaus, die Vielfalt verschiedenster Kunstgenres in seiner Person zusammenführte.
Das ästhetische Universum auf der Bühne der Fledermaus schien identisch zu sein mit dem ästhetischen Umfeld unten im Zuschauerraum. Ein Verschmelzen dieser beiden üblicherweise getrennten Sphären war ganz im Sinn der neuen Gestaltungs- und auch Lebensideologie der Wiener Werkstätte, die alles Gegenständliche und was darüber hinausging, selbst in die Hand nehmen wollte. So wie das Design für den modernen Lebensvollzug auf der Bühne wie auch im Zuschauerraum der "Fledermaus" zum Einsatz kam, sollten umgekehrt alle Elemente auf der Bühne auf den Lebensalltag des Publikums zurückwirken, bestand dieses doch aus potentiellen Käufern der Wiener Werkstätte.
Das Programm
Das Kabarett Fledermaus bot ein vielfältiges Angebot an Bühnenwerken unterschiedlichster Gattungen und Formen. Das Spektrum reichte von avantgardistischen Bühnendichtungen, wie Peter Altenbergs Masken , und Tragödien, etwa Ludwig Hunas Artisten , über das makabre Schauerstück Der Albino von Gustav Meyrink, Komödien und Lustspiele, u. a. von Egon Friedell und Alfred Polgar oder Felix Dörmanns Schlau - Schläuer - Am Schläuesten , bis zu schlüpfrigen Schwänken, darunter Das Höschen der Baronesse von Otto Eisenschitz. Neben dem klassischen Schauspiel wurden auch Pantomimen ( L' homme aux poupées von Henry Berény), historische Theaterstücke (Jean-Jacques Rousseaus Le devin du village ) und Puppenspiele zur Aufführung gebracht.
Lag der Schwerpunkt anfangs auf eigens für die "Fledermaus" geschriebenen, anspruchsvollen Stücken, wurden ab Oktober 1909 - mit dem Ende der Ära der Wiener Werkstätte und mit Robert Blum als neuem künstlerischen Leiter - bei der Zensurstelle Bühnenspiele eingereicht, die bereits andernorts uraufgeführt worden waren. Gleichzeitig wurde der Schwerpunkt auf französische Komödien und pikante Boudoirszenen verlegt, um dem Geschmack eines breiteren Publikums entgegenzukommen.
Höhepunkte einer secessionistisch geprägten Theatervision, die in der "Fledermaus" realisiert wurde, sind der Tanz Morgenstimmung (nach der Musik von Edvard Grieg) von Gertrude Barrison, für die Fritz Zeymer das künstlerische Gesamtkonzept entwickelt hat, sowie der für die ästhetischen Ziele der "Fledermaus" so bedeutsame, programmatische Dialog Masken von Peter Altenberg. Carl Otto Czeschka schuf dafür Kostüme und Hintergrund, ein Bühnenkunstwerk als Gegenmodell zum realistischen Theater seiner Zeit. Mit Oskar Kokoschkas Getupftem Ei , einem mechanisch gesteuerten Figurenspiel, kam ein neuer Stil in die Jugendstil-Domäne der "Fledermaus" - ein frühexpressionistisches Experiment, das allerdings weder von der Kritik noch vom Publikum geschätzt wurde.
Die Bedeutung der "Fledermaus" als theatralisches Experiment der Wiener Moderne kann nicht ernst genug genommen werden. Durch ihren Beitrag zur Neudefinition des Theaters hat sie sich vom bloß gestalterischen Aspekt der Wiener Werkstätte emanzipiert und wurde zum Fanal für die radikalen Experimente, die nach ihr folgen sollten: die Dada-Bühne 1917 in Zürich, die Bauhausbühne in Weimar und Dessau sowie der revolutionäre Theaterkonstruktivismus in der Sowjetunion der Zwanziger Jahre, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen. Die Begründer des "Theaters und Kabaretts Fledermaus" wollten, wie ihre Nachfolger auch, ganz bewusst ein Theater gänzlich aus dem Zeitgeist heraus schaffen, das in der Architektur Signale setzte, aber auch auf der Bühne eine neue Ästhetik, die der Zeit angemessen sein sollte, ausrufen.
Die letzten Jahre
Nach dem Ausscheiden der Wiener Werkstätte im Jahr 1908 bestand das "Theater und Kabarett Fledermaus" weitere vier Jahre. Die Ästhetik der Wiener Werkstätte wurde nicht auf Anhieb abgeschüttelt. Egon Friedell wirkte von 1908 bis 1910 weiter als Leiter am Theater. Die Requisiten kamen nunmehr vom bekannten, in Wien ansässigen Korbwarenerzeuger "Prag-Rudniker". 1913 wurde das Lokal verkauft und als Revuetheater "Femina" neu eröffnet Danach diente es jahrzehntelang als Kino und schließlich als Tanzlokal. Die Geschichte der Fledermaus nach 1908 zeigt die Normalisierung nach einem Höhenflug, der mit der Wiener Werkstätte ehrgeizig begonnen hatte, aber durch deren finanzielles Scheitern an diesem großartigen Projekt allzu früh wieder beendet wurde. Was bleibt, ist ein künstlerisch großartiges Gesamtkunstwerk.
Zur Ausstellung erscheint im Christian Brandstätter Verlag ein von Michael Buhrs, Barbara Lesák und Thomas Trabitsch herausgegebener Katalog mit Textbeiträgen von Barbara Lesák, Peter Jelavich, Heinz Lunzer und Victoria Lunzer-Talos, Gerd Pichler, Herta Neiß, Andrea Amort und Georg Wacks. Der Katalog umfasst ca. 256 Seiten und ca. 290 Abbildungen. ISBN 978-3-85498-386-6.