Der Entstehung des französischen Art Nouveau widmet sich das Museum Villa Stuck mit dem umfangreichen Projekt L’ART NOUVEAU. LA MAISON BING. Im Zentrum der Ausstellung steht der aus Hamburg stammende Kunsthändler und Sammler Siegfried Bing (1838 – 1905) und seine 1895 gegründete Galerie L’Art Nouveau, die der internationalen Kunstrichtung in Frankreich ihren Namen gab.
Siegfried Bing sammelte zunächst chinesische und japanische Kunst, die großen Einfluss auf europäische KünstlerInnen des 19. Jahrhunderts hatte. Vincent van Gogh etwa erwarb bei Siegfried Bing eine Sammlung japanischer Holzschnitte. Mit der Idee, elegante Möbel im unverkennbaren Neuen Stil (Art Nouveau) herstellen zu lassen, überwand Bing die Kluft zwischen bildender und angewandter Kunst. Zudem lieferte er künstlerische Lösungen zur Ästhetisierung von Wohnräumen. Siegfried Bing gründet ca. 1897/99 eigene Werkstätten für die Herstellung von Möbeln und Schmuck. Parallel dazu stellte er die von seinen Künstlern gestalteten Entwürfe Fremdproduzenten zur Verfügung, die sie in größerer Stückzahl und Vielfalt herstellen konnten. Die Werkstätten bilden einen Höhepunkt im Streben Bings nach der Neubelebung des französischen Designs mit höchstem Anspruch an Qualität und Fortschrittlichkeit. Sein Tod im Jahr 1905 bedeutete das Ende eines Unternehmens, das große Bedeutung für Kunst und Design des 20. Jahrhunderts bekommen sollte.
Die Ausstellung im Museum Villa Stuck erzählt die Geschichte des Art Nouveau mit Bings Galerie als Dreh- und Angelpunkt. Sie präsentiert etwa 400 Objekte und Kunstwerke, die im Auftrag Bings entstanden, in seiner Galerie gezeigt wurden, ihm gehörten: Glas von Tiffany, Gemälde und Plastiken von Künstlern wie Rippl-Ronai, Rodin, Vuillard sowie Möbel, Keramik und Schmuck von Van de Velde, Colonna, De Feure und Gaillard. Es ist die bisher umfassendste Ausstellung zu diesem Thema.
Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählen die Objekte aus dem Pavillon Art Nouveau Bing, Bings Beitrag zur Pariser Weltausstellung im Jahr 1900. Im Streben nach dem Gesamtkunstwerk verbunden mit Franz von Stuck, der seine Kunst ebenfalls in Paris präsentierte, brachte Bing damals noch relativ unbekannte Gestalter zusammen: Georges de Feure, Edward Colonna und Eugène Gaillard. Ihre eleganten Entwürfe – Wandschirme, Vitrinen, Porzellan, Glas und Textilien - vermitteln Eindrücke von Bings Pavillon.
Siegfried Bing
1838
Siegfried Bing wird in Hamburg in einer jüdischen Familie geboren, die mit Porzellanwaren und Einrichtungsgegenständen handelt.
1854
Bing übersiedelt nach Frankreich, um seinen Vater Jacob bei der Arbeit in dessen Porzellanmanufaktur in Saint-Genou (Bing & Renner) zu unterstützen.
1863
Bing gründet zusammen mit Jean-Baptiste Leullier die Porzellanmanufaktur Leullier Fils & Bing.
1867
Ein feierliches, elegantes Porzellan-Speise-Service von Leullier Fils & Bing gewinnt eine Medaille auf der Pariser Weltausstellung.
1868
Siegfried Bing heiratet Johanna Baer.
1875
Bing importiert und verkauft in der Rue du Faubourg Saint-Denis Kunstgegenstände aus China und Japan. Sohn Marcel wird geboren.
ab 1879
Bings Geschäft in der Rue Chauchat 19 ist die Erste Adresse in Paris für den Kauf asiatischer Kunst und kunsthandwerklicher Gegenstände.
1884
Das Geschäft wird in ein Musée Japonais umgewandelt, eine Galerie für dekorative Kunst aus Asien.
1887 – 1888
Verkauf und Auktionen asiatischer Kunst in Amerika.
1888
Herausgabe des Magazins Le Japon Artistique.
1890
Bing wird von der Légion d’Honneur für die Förderung der japanischen Kunst ausgezeichnet. Große, von ihm organisierte, Ausstellung japanischer Druckkunst an der Ecole des Beaux Arts, Paris.
1894
Bing reist nach Amerika, wo er von dem Glaskünstler Louis Comfort Tiffany beeindruckt ist. Er gibt den Entwurf von Zinn-Glasfenstern bei Nabis-Künstlern wie Vuillard, Denis, Vallotton und Toulouse-Lautrec in Auftrag. Tiffany übernimmt die Herstellung. Im Dezember 1895 werden die entstandenen Arbeiten in seinem Geschäft in Paris ausgestellt.
1895
Nach größeren Umbauarbeiten eröffnet Bings neue Galerie L’Art Nouveau am 26. Dezember in der Rue du Chauchat 19 und in der Rue de Provence 22. Bing beabsichtigt, eine neue, ästhetisch anspruchsvolle Kunst in harmonischer Umgebung zu zeigen. Die Idee, eine Galerie zu eröffnen, entstand bei einem Besuch im Maison d’Art in Brüssel und einem Treffen mit Henry van de Velde.
1895-1905
Nach zwei Ausstellungen (Dezember 1895 und Februar 1896) mit Glasarbeiten von Daum, Möbelstücken von Van de Velde und Bildern der Symbolisten und Neo-impressionisten, werden in der Galerie L’Art Nouveau zahlreiche Einzelausstellungen von Künstlern wie Edvard Munch (1896) und Paul Signac (1902) gezeigt.
1896
La Culture Artistique en Amérique erscheint, - Bings Bericht über seine Amerika-Reisen, in dem er sich mit moderner amerikanischer Kunst auseinandersetzt.
1897
Bing organisiert Ausstellungen von Tiffany-Gläsern in verschiedenen Städten, u.a. in Wien und Budapest. Inneneinrichtungen von L’Art Nouveau, entworfen von Henry van de Velde und Paul-Albert Besnard, werden auf der internationalen Kunstausstellung in Dresden gezeigt.
Franz von Stuck baut seine als Gesamtkunstwerk konzipierte Villa in der Prinzregentenstraße und entwirft Möbel und Innenausstattung. Stuck kauft Tiffany –Lampen für sein Wohnzimmer.
1898-1899
Bing gelangt zu der Überzeugung, dass er, um einen einheitlichen Stil zu kreieren, ein eigenes Atelier aufbauen muss, in dem verschiedene Berufsgruppen eng zusammenarbeiten können: zu diesem Zweck gründet er ein neues Atelier für Schmuck, Inneneinrichtung und Möbeldesign unter Führung von Léon Jallot. Sein Sohn leitet die Schmuckwerkstatt.
1899
Eine Ausstellung von Tiffany-Gläsern und Skulpturen von Constantin Meunier in der Grafton Galerie in London hat nur wenig Erfolg. Metallobjekte von Edward Colonna werden erstmals ausgestellt.
1899-1900
Bing beauftragt fremde Hersteller wie Porcelaines GDA in Limoges mit der Herstellung feiner Porzellanarbeiten und Lamy und Bornet (Maison Prelle) in Lyon mit der Anfertigung kunstvoller Seidenstoffe.
1900
Pariser Weltausstellung: In letzter Minute entscheidet Bing, einen Art Nouveau-Pavillion mit Werken seiner drei wichtigsten Designer Georges de Feure, Edward Colonna und Eugène Gaillard einzurichten. Die drei Räume (Wohnzimmer, Speisezimmer, Schlafzimmer etc) bilden trotz ihrer sehr persönlichen Note, die ihnen die Künstler verleihen, ein überzugendes Ensemble. Bings Pavillon ist sehr erfolgreich und verschiedene Museen (auch Kopenhagen und Hamburg) kaufen Möbel, obwohl keine nennenswerten Bestellungen vorliegen.
Franz von Stuck gewinnt auf der Weltausstellung eine Goldmedaille für seine für die Villa Stuck entworfenen Möbel.
1904
Siegfried Bing scheidet aus den Geschäften der Galerie aus, sein Sohn Marcel führt die Geschäfte weiter.
1905
Bing stirbt ein Jahr nach Schließung seiner Galerie, in der amerikanischen Zeitschrift Brush and Pencil heißt es: „Die Nachricht von dem Tode Siegfried Bings [...] ist für viele Sammler in Europa und in seiner Heimat ein großer Verlust. Denn die meisten verdanken ihre japanischen Kunstschätze und nicht wenig von ihrer Liebe zur östlichen Kunst diesem unermüdlichen Kunsthändler ...“
1906
Bings Sammlung orientalischer Kunst wird an Museen in Hamburg, Paris und Berlin verkauft
1908
Bings Sohn Marcel bietet dem Musée des Arts Décoratifs in Paris Kunstgegenstände des Art Nouveau an und setzt den Handel mit Asiatischer Kunst bis zu seinem Tod 1920 fort.
Katalog
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher Sprache, herausgegeben von Gabriel P. Weisberg, Edwin Becker, Evelyne Possémé, mit Texten der Herausgeber und von Christine Shimizu, Karine Lacquemant, Rüdiger Joppien und Philippe Thiébaut, Van Gogh Museum / Musée des Arts décoratifs / Mercatorfonds, 296 Seiten, 250 Farb- und 50 Schwarzweißabbildungen. Broschierte Ausgabe (ISBN 90 61 53 563 8) zum Preis von EUR 32,50 im Museum Villa Stuck erhältlich.