Martin BrandRICOCHET #6 -

Martin Brand »Rebel Rebel« (Film still), 2011/2012, Zweikanal-Videoinstallation, courtesy der Künstler
Martin Brand »Rebel Rebel« (Film still), 2011/2012, Zweikanal-Videoinstallation, courtesy der Künstler

Als sechste Position der Ausstellungsreihe RICOCHET präsentiert das Museum Villa Stuck Fotos, Filme und Videoinstallationen des 1975 in Bochum geborenen Künstlers Martin Brand. Seine Werke bewegen sich zwischen Dokumentation und Fiktion, zufälliger Beobachtung und Inszenierung, dabei gilt sein Interesse Jugendlichen sowie Subkulturen. Martin Brand offenbart auch einen kritischen Blick auf die gesellschaftlich-soziale Realität in Deutschland, indem er die Suche nach Identität und Vorbildern, Mechanismen der Szenebildung und -hierarchien, Wertvorstellungen und Männlichkeitsstereotypen thematisiert.

Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser
Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser
Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser
Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser
Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser
Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser
Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser
Installationsansicht Museum Villa Stuck, Foto: Jann Averwerser

Seiner neuesten Arbeit Rebel Rebel, eine Zweikanal-Videoinstallation, die 2011 und 2012 entstanden ist, liegen dokumentarische Aufnahmen zu Grunde, die in der Metal- und Deathcore-Szene rund um den Musiker David Beule entstanden sind. In zehn Sequenzen gegliedert, zeigt die Arbeit verschiedene Situationen aus Leben, Alltag und Umfeld des Musikers. Doch so nah die Kamera dem Geschehen auch kommt, bleibt die Beobachtung zunächst distanziert und abwartend. Während der Betrachter von einer Oberfläche aus aufwändigen Tätowierungen, ungebremstem Lebensstil und archaisch anmutendem musikalischen Ausdruck angezogen wird, verliert sich der Blick der Kamera immer wieder in Details, um erst im Laufe der Zeit dem Protagonisten und seiner Persönlichkeit näher zu kommen.

Zur Ausstellung

Im Alten Atelier Franz von Stucks ist Martin Brands neueste Arbeit Rebel Rebel (2011/12) zu sehen. Der Zweikanal-Videoinstallation, die den Titel eines Glamrock-Songs von David Bowie trägt, liegen dokumentarische Aufnahmen zu Grunde, die Brand in der Metal- und Deathcore-Szene rund um den deutschen Musiker David Beule gemacht hat. Rebel Rebel beleuchtet in zehn Sequenzen Leben, Alltag und Umfeld des Musikers und zeigt ihn bei Bandproben, beim Zusammensein mit Freunden, bei Auftritten oder beim Tätowierer, wobei sich der Betrachter mit einer extravaganten Selbstinszenierung des Protagonisten konfrontiert sieht. Die archaisch anmutende musikalische Ausdrucksweise, das Schreien, in der Szene auch als als »Shouten« bezeichnet, wirkt befremdlich, ebenso seine über den ganzen Körper ausgebreiteten Tätowierungen.
Dieser extreme Lebensentwurf eines jungen Menschen unserer Zeit tritt in einen Dialog mit Franz von Stucks raumgewordener Selbstinszenierung: das Alte Atelier mit dem Altar der Sünde, das seine Identität als Künstlerfürst manifestiert.

Die Konstruktion von Identitäten, die gerade in der Adoleszenz eine entscheidende Rolle spielt, nimmt einen zentralen Raum in Brands Werk ein. Dabei stehen meist Jugendliche, die einer bestimmten Subkultur angehören wie Punks, Gothics, Skinheads oder eben Death-Core-Musiker im Mittelpunkt. Seine künstlerische Auseinandersetzung zeigt die Menschen, die sich hinter den Szene-Codes verbergen. Brand nähert sich den Jugendlichen mit taktvoller Distanz an. Das Vertrauen, das die Jugendlichen Brand entgegenbringen, ermöglicht eine intensive Annäherung des Betrachters an die Protagonisten.

Für seine Videoarbeit Portraits of Young Men (2010) arbeitet Martin Brand mit dem Verfahren sehr langer filmischer Einstellungen. Die Portraits, für die er den Jugendlichen die Anweisung gibt, bewegungslos direkt in die Kamera zu blicken, vermitteln einen fast fotografischen Eindruck.

Durch den intensiven Blickkontakt erfährt die »coole« Fassade der Jugendlichen Risse; Emotionen und Unsicherheiten werden sichtbar. Durch die direkte Gegenüberstellung von Filmendem und Gefilmtem wird beim Betrachter neben der Auseinandersetzung mit der porträtierten Person ein Prozess der Selbstreflexion in Gang gesetzt.

Eine weitere Werkgruppe bilden Arbeiten, denen keine selbst gefilmten Aufnahmen, sondern gefundenes Videomaterial, sogenanntes Found Footage, zu Grunde liegt. Die Videoinstallation Match (2005) zeigt drei verschiedene Perspektiven einer Hooliganschlacht, wobei das Filmmaterial von selbst gebrannten DVDs stammt, die auf einer Hooligan-Szene-Website zum Kauf angeboten worden waren. Die Bildkanäle werden in halber Geschwindigkeit abgespielt und synchron zueinander projiziert. Durch die vielen Kopiervorgänge verschwimmen die Details. In Folge von Verzerrungen, Unschärfen und Fehlfarben wirken die Filme gemäldehaft und surreal. Das steht im krassen Gegensatz zum Dargestellten: zwei Hooligangruppen, die auf einem offenen Feld gegeneinander antreten. Die ungebrochenen Männlichkeitsstereotype und die Aggressivität werden durch den Soundloop aus Originaltonfragmenten verstärkt: aufgeregtes, schweres Atmen, Vogelgezwitscher und Stimmengewirr.

Im Mittelpunkt des Films Breakdance (2004) steht das Fahrgeschäft »Breakdance No. 2«, ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche auf der Cranger Kirmes in Herne. Vor dem farbenprächtig beleuchteten, sich schnell drehenden Fahrgeschäft stehen Jugendliche, eine Mädchenstimme aus dem Off erzählt vom letzten Sommer, den sie mit ihren Freunden auf der Kirmes verbracht hat, von enttäuschten Sehn­süchten, Perspektivlosigkeit und Gewalt. Die experimentelle Wirkung der Farben und Lichter des sich schnell drehenden Fahrgeschäfts wird durch Eingriffe und Manipulationen verstärkt. Der fiepende und knackende Ton, der den ganzen Film unterlegt, unterstreicht den Eindruck einer Erinnerungssequenz.
Martin Brand rückt die Wirklichkeit der Jugendlichen in das soziale Bewusstsein des Betrachters und regt an zur Reflexion über das menschliche Wesen, die eigene gesellschaftliche Verortung und die damit verbundene Verantwortung.

Werke in der Ausstellung

2011/12: Rebel Rebel, Zweikanal-Videoinstallation, courtesy der Künstler
2011: Punks, Einkanal-Video, courtesy der Künstler
2010: Portraits of Young Men, Einkanal-Videoprojektion, courtesy der Künstler
2005: Match, Dreikanal-Videoinstallation, courtesy der Künstler
2005: Fight for your Right Vol.1, Bildserie aus Found-Footage-Stills, courtesy der Künstler
2003/04: Breakdance, Einkanal-Video, courtesy der Künstler

Katalog

Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit einem Vorwort von Michael Buhrs, Beiträgen von Anne Marr, Dominikus Müller und Martin Heindel, 73 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Installationsansichten. ISBN 978-3-923244-30-0