Mit freundlicher Unterstützung durch den Verein zur Förderung der Stiftung Villa Stuck e.V. und KMS TEAM
The older I get the more I need to get to the source, the place where dreams originate, the source of our psyche. The clock is ticking. There is a lot to find and it is thrilling. I am very passionate about it. I want to find the vein, the source of the ore, find the belly, the molten rock. If I couldn't do this I would feel let down inside. (Roger Ballen, 2007)
Das Museum Villa Stuck präsentiert in der Ausstellung »Roger Ballen. Theater der Absurdität« 32 Arbeiten des US-amerikanischen, in Johannesburg lebenden Fotografen. Zum vierten Mal widmet sich das Museum Villa Stuck in diesem Jahr damit dem Thema Fotografie. Den Anfang machten die Arbeiten von Jan Paul Evers im Rahmen der Reihe RICOCHET, gefolgt von der Ausstellung »gute aussichten - junge deutsche fotografie 2013/2014« und den Fotografien von Regina Schmeken aus der Serie »Unter Spielern«. Den Kern der aktuellen Ausstellung bilden Werke Ballens aus der jüngst abgeschlossenen Serie »Asylum of the Birds«, die in einer Publikation und einem begleitenden Film 2014 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Ergänzt werden diese neuen Fotografien durch Arbeiten aus den Serien »Outland«, »Shadow Chamber« und »Boarding House«. Die Ausstellung im Museum Villa Stuck findet anlässlich der Edition 46 des Magazins der Süddeutschen Zeitung statt, die in diesem Jahr von Roger Ballen gestaltet wird, und ist nach der umfassenden Retrospektive in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums 2010/11, die zweite institutionelle Präsentation seiner Fotografien in München.
In den 1970er-Jahren bereist der in New York geborene Fotograf Roger Ballen zum ersten Mal Südafrika, seit 1981 lebt er in Johannesburg. Roger Ballen fotografiert die weiße Bevölkerung Südafrikas, jedoch interessiert er sich nicht für die heile Hochglanzwelt derjenigen Menschen, die von dem Apartheidregime jahrelang profitierten. Er widmet sich vielmehr jenen Menschen, die durch ein Raster gefallen sind, auf der Straße oder in heruntergekommenen Behausungen leben, gezeichnet von Armut, Hunger, Krankheit und Verfall. Seine Aufnahmen fasst Ballen in dem Buch »Platteland« zusammen. Platteland ist das afrikaanse Wort für Flachland und beschreibt grundsätzlich die Landschaft Südafrikas, geht aber über eine rein geographische Bezeichnung hinaus und kann vielmehr als Geisteshaltung gedeutet werden.
Ballen, der als Geologe in Südafrika tätig war, arbeitet sich immer tiefer in das Lebensumfeld der ausgegrenzten Menschen hinein. Es entstehen eindringliche Porträts und immer öfter Aufnahmen von Innenräumen, leer oder mitsamt der Menschen, die sie bewohnen. Die Objekte und Gegenstände, immer wieder auch Tiere, mit denen sich Ballens Protagonisten umgeben, werden zu zentralen Elementen der Fotografien. Hinterfangen werden diese Szenen durch Zeichnungen an Wänden, auf Möbeln oder auf dem Boden, oft mit Kreide mehr schnell gekritzelt als sauber gezeichnet; sie zeigen Gesichter, Körper oder bleiben abstrakt. Im Lauf der Zeit verändert sich Ballens Herangehensweise von der fotografischen Dokumentation hin zu einer arrangierten Fiktion, in der die Rolle des Fotografen ergänzt wird durch Züge des Inszenierens und Komponierens ganzer Räume. Ballen ist dabei immer ein einfühlsamer Kommunikator, der mit den Menschen auf eindringliche Weise spricht, sie in jedem Moment des Austauschs ernst nimmt, und so den manchmal unmenschlich wirkenden Zustand, in dem sich Menschen und Räume befinden, eine zutiefst berührende Menschlichkeit verleiht.
Zur Ausstellung
Roger Ballen wird 1950 in New York City geboren. Über seine Mutter, Adrienne, kommt er bereits als Jugendlicher mit der Fotografie in Berührung. Ab Mitte der 1960er-Jahre arbeitet sie zuerst in der Agentur MAGNUM, bevor sie 1968 in New York die Galerie »Photography House« gründet. Auch wenn seine ersten fotografischen Arbeiten bereits in den späten 1960er-Jahren entstehen, studiert Ballen Psychologie an der UCLA in Berkeley. Nach dem Ende seines Studiums reist Ballen 1974 zum ersten Mal nach Südafrika. Zurück in den USA, beginnt er ein Geologie-Studium, das er 1981 abschließt. Im gleichen Jahr zieht Ballen nach Südafrika. Dort angekommen beginnt er 1982 mit den Aufnahmen für die Serie »Dorps«, vier Jahre später erscheint das gleichnamige Buch. Es ist bereits das zweite – die erste Publikation, »Boyhood«, war 1978 noch in den USA erschienen.
Ulrich Pohlmann schreibt über »Boyhood«: »In manchen Bildern dieser frühen Serie ist Ballens Interesse und Faszination an dem Grotesken, dem Abgründigen und der surrealen Ambivalenz menschlicher Verhaltensformen, die zu seinem künstlerischen Markenzeichen werden sollten, erkennbar. Auch formalästhetisch finden sich Merkmale späterer Aufnahmen wieder wie die Isolierung der Figur vor leeren Wänden und abstrakten Hintergründen, die das Physiognomische umso deutlicher zutage treten lassen. Auffällig ist weiterhin Ballens Bestreben, dem dreidimensionalen Raum eine abstrakte Flächenwirkung abzugewinnen, um die Personen wie auf einer Bühne agieren zu lassen.« (Ulrich Pohlmann: 'A shadow runs through my work'. Ein Versuch, das Unnennbare zu benennen. Zu den Fotografien von Roger Ballen, in: Roger Ballen. Fotografien 1969–2009, Ausst.kat. Stadtmuseum München/Sammlung Fotografie, München 2010, S. 7). In dieser Beschreibung sind bereits Verweise auf die nachfolgenden Serien, die Roger Ballen anfertigt, angelegt. Pohlmanns Bezüge zum Grotesken und dem Surrealen wie auch sein Vergleich mit dem Agieren auf einer Bühne, nehmen sogar schon die Arbeiten der aktuellen Ausstellung »Theater der Absurdität« vorweg.
Mit »Platteland«, das Ballen 1994 veröffentlicht, dem Jahr in dem das Apartheid-System abgelöst wird durch die ersten allgemeinen Wahlen Südafrikas, kommt es zu einem Skandal. Ballens Aufnahmen einer weißen Unterschicht, die sich weiterhin der sich auflösenden Rassentrennung widersetzt und den Veränderungen ablehnend gegenübersteht, entsprechen in keinster Weise dem Bild, das diese Gesellschaftsgruppe von sich in der Öffentlichkeit sehen will. Die Aufnahmen sind zumeist Ganzkörperporträts, einzeln oder als Doppel- bzw. Gruppenporträt. In den meisten Fällen sind es die Wohnräume der Menschen selbst, in denen die Bilder entstehen, in seltenen Fällen auch Außenaufnahmen. Ballen zeigt die Menschen mit direktem, unverstellten Blick, legt gerade dadurch auf schonungslose Art und Weise die Tragik offen, die augenscheinlich die Lebensumstände dieser Menschen vollständig umschließt.
Zu diesem Zeitpunkt ist die formale Herangehensweise Ballens an seine Motive bereits ausgestaltet. Quadratischer Bildausschnitt, ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß, das die Aufnahmen bestimmt und Ihnen vordergründig einen objektiv-dokumentarischen Anschein gibt. Ballen selbst nennt die Weiterentwicklung dieses Stils später »dokumentarische Fiktion«. Die folgenden Serien, allesamt als Publikation in einen bestimmten Rahmen und Umfang gebracht, heißen »Outland«, »Shadow Chamber« und »Boarding House«. Weiterhin besucht Ballen Orte, die außerhalb des anerkannten Gesellschaftsspektrums liegen. Immer stärker wird die Interaktion zwischen dem Fotografen und seinen Akteuren zu einem bestimmenden Merkmal seiner Arbeit, die sich direkt auf die Inszenierungen auswirkt. Menschen und Räume, Tiere und Objekte, am Ende auch Zeichnungen und ganze Raum-Collagen, dies alles wird zu den Variablen in Ballens Fotografien. Er selbst ist derjenige, der diese Variablen setzt, sich immer wieder aber auch auf die Spontaneität des Personals einlässt. Dabei entstehen Aufnahmen von absurder Eindringlichkeit, berührende Momentaufnahmen wie auch drastische Bilder, die eines jedoch nie zulassen: den unbeteiligten, Distanz haltenden Betrachter.
Einen weiteren Schritt in dieser Entwicklung vollzieht Ballen mit der Serie »Asylum of the Birds« und der gleichnamigen Publikation aus dem Jahr 2014. Der Mensch als körperliches Wesen ist darauf kaum noch als Ganzes zu sehen. Stattdessen sind es einzelne Körperteile, Hände, Arme, die kombiniert werden mit Puppenköpfen- und -körpern, Tiere, vor allem Vögel, bevölkern die Szenerie. Dies alles spielt sich ab vor einem vollständig komponierten Hintergrund, bestehend aus ganzen Raumschalen und Installationen aus Objekten, Requisiten, Zeichnungen und Collagen. Der menschliche Ausdruck zeigt sich gespiegelt in einer animalischen Fratze, während die Umgebung wirkt wie ein surrealistischer Darkroom, der das tiefste Innere der menschlichen Seele ans Tageslicht befördert. Wie stark dabei autobiographische Bezüge eine Rolle spielen, lässt ein Zitat Roger Ballens erkennen: »My purpose in taking photographs over the past forty years has ultimately been about defining myself. It has been fundamentally a psychological and existential journey.«
Biographie
Roger Ballen, geboren 1950 in New York, lebt und arbeitet in Johannesburg.
Einzelausstellungen (Auswahl)
2015: Museo de Arte Contemporáneo, Santiago, Chile; Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo. 2014: Museum Villa Stuck, München; Museo d'arte contemporanea, Rom; Oliewenhuis Art Museum, Bloemfontein. 2013: Museum of Old and New Art, Hobart, Tasmanien; Nikolaj Copenhagen Contemporary Art Center; National Museum of African Art, Smithsonian Institution, Washington DC. 2012: Kunsthalle Wien; MARTa Herford; Musée de l Élysée, Lausanne; Tel Aviv Museum of Art. 2011: Museum Het Domein, Sittard; Sammlung Prinzhorn, Heidelberg. 2010: Bozar, Brussels; George Eastman House, International Museum of Photography and Film, Rochester; Sammlung Fotografie, Münchner Stadtmuseum. 2009: City Museum of Ljubljana. 2007: Deichtorhallen, Hamburg; Johannesburg Art Gallery. 2006: Fotografisk Center, Kopenhagen; FotoMuseum Provincie Antwerpen. 2005: Durban Art Gallery. 2004: Berkeley Art Museum, California; State Museum of Russia, St. Petersburg. 2002: Museo Nazionale della Fotografia, Brescia; Museet for Fotokunst, Odense; Sala Rekalde, Bilbao. 2001: Fotoforum, Frankfurt; Hasselblad Center, Gutenberg; Krefelder Kunstmuseen; Rupertinum, Salzburg; Württembergischer Kunstverein, Stuttgart. 2000: Museum of Photography, Athen. 1998: Kunsthaus Zürich. 1995: Arles Photographic Festival, Arles. 1994: Afrikaner Museum, Johannesburg; Michaelis Collection, Kapstadt. 1986: Pretoria Art Museum, Pretoria. 1982: Market Theatre, Johannesburg. 1981: Centre for Photography, Denver
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2012: Outsiders, naive and autodidacts, Haifa Museum of Art; Confounding: Contemporary Photography, National Gallery of Victoria, Melbourne; Rise and Fall of Apartheid, International Centre of Photography, New York. 2011: High Speed Insanity, Blomquist, Oslo. 2010: PEEKABOO. Current South Africa, Helsinki Art Museum; All Creatures Great and Small, Zacheta National Gallery of Art, Warchau. 2008: After Nature, New Museum, New York. 2002: National Portrait Gallery, London; Sala Rekalde, Bilbao; Victoria and Albert Museum, London. 2001: La Natura Della Natura Morta; Museet for Fotokunst, Odense; Stedelijk Museum, Amsterdam. 2000: Porträt Afrika. Fotografische Positionen eines Jahrhunderts, Haus der Kulturen der Welt, Berlin. 1999: Film & Television, Bradford; National Museum of Photography; National Portrait Gallery, London. 1998: Comment Jouer Enfermement, Maison Européene de la Photographie, Paris; National Portrait Gallery, London. 1997: Double Vie, Double Vue, Fondation Cartier pour l'art Contemporain, Paris
Veröffentlichungen (Auswahl)
Asylum of the Birds, 2014 / Roger Ballen Die Antwoord. I Fink U Freeky, 2013 / Animal Abstraction. Selected Photographs 1998–2011, 2011 / Roger Ballen. Fotografien 1969–2009, 2010 / Boarding House, 2009 / Shadow Chamber, 2005 / Outland, 2001 / Platteland. Images from Rural South Africa, 1994 / Dorps. Small Towns of South Africa, 1986 / Boyhood, 1979
Auszeichnungen (Auswahl)
Lucie Award, Finalist for Solo Exhibition of the year, George Eastman House, 2010 / PhotoEspana, Madrid, Honorable mention – Best Photographic Book of the Year for Boarding House, 2009 / Honorable mention, UNICEF Photo of the Year, 2004 / Photographer of the Year, Rencontres d’Arles, 2002 / Special mention, UNICEF Photo of the Year, 2001
Werke in Sammlungen (Auswahl)
Rijksmuseum, Amsterdam / Stedelijk Museum, Amsterdam / Oliewenhuis, Bloemfontein / Museo Nazionale della Fotografia, Brescia / National Museum of Film and Photography, Bradford / Musée de la Photographie, Charleroi / Durban Art Gallery / Museum Folkwang, Essen / Hasselblad, Goteborg / MONA Museum, Hobart / Museum of Fine Arts, Houston / Johannesburg Art Museum / National Gallery, Kapstadt / Louisiana, Kopenhagen / Los Angeles County Museum of Art / Tate Britain, London / Victoria and Albert Museum, London / Pushkin Museum, Moskau / State Museum of Russia, Moskau / Sammlung Fotografie, Münchner Stadmuseum / Brooklyn Museum / Museum of Modern Art, New York / Bibliotèque Nationale de France, Paris / Centre Pompidou, Paris / Maison Européene de la Photographie, Paris