Shanghai Modern -

Yang Fudong: Moshen Tiantang (An Estranged Paradise / Ein entfremdetes Paradies) 1997-2001, Schwarz-weiß-Film, 76 min. Collection of the Artist / Sammlung des Künstlers
Yang Fudong: Moshen Tiantang (An Estranged Paradise / Ein entfremdetes Paradies) 1997-2001, Schwarz-weiß-Film, 76 min. Collection of the Artist / Sammlung des Künstlers

Unter dem Titel "Shanghai Modern" dokumentiert das Museum Villa Stuck - nach mehr als drei Jahren intensiver Arbeit - die Geburt der Moderne, die in den 20er und 30er Jahren in der schrillen Metropole Shanghai vonstatten ging.

Chinesische Künstler hatten die moderne Kunst des Westens entdeckt, Ausdruck und Technik ihren eigenen Bedürfnissen angepasst. Jetzt drängten sie stürmisch nach Europa, wo sie in zahlreichen Ausstellungen in Berlin und Paris, in Frankfurt und Mailand, in Hamburg und Amsterdam Brücken zu schlagen suchten. Mehr als 200 Werke aus jener Zeit, Leihgaben aus Museen von Shanghai, Beijing, Hangzhou und Hongkong sowie aus Privatbesitz zeigen erstmals und umfassend die stürmische künstlerische Entwicklung jener Jahre. Die Ausstellung umfasst ein weites Spektrum: nicht nur Malerei und Grafik der chinesischen Moderne sollen ein Gefühl für die Aufbruchstimmung vermitteln, die damals ebenso wie heute Bestandteil der Shanghaier Atemluft war. Beispiele aus Fotografie und Film, Werbung und Mode zeigen, wie die Moderne alle Lebensbereiche durchdrungen hatte.

Ein umfangreicher Katalog dokumentiert das Thema in historischen und aktuellen Texten. Das zentrale Thema des Buches sowie der Ausstellung bleibt der in Vergessenheit geratene, vielschichtige und faszinierende Austausch zwischen dem Westen und der chinesischen Avantgarde der Zeit.

Am 13. Oktober 2004 wird der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München, Christian Ude, dieses groß angelegte Projekt im Museum Villa Stuck eröffnen. Die Kuratoren der Ausstellung sowie eine Delegation von Künstlern, Direktoren und Kuratoren aus Shanghai, Hangzhou und Beijing werden anwesend sein.

Nach Ende der Ausstellung in München wird Shanghai Modern in der Kunsthalle zu Kiel von 25. Februar bis 15. Mai 2005 zu sehen sein.

Zur Ausstellung

Die Ausstellung Shanghai Modern setzt mit dem Jahr 1931 ein, allerdings nicht in Shanghai, sondern im China-Institut in Frankfurt, wo einer der führenden Künstler Shanghais, Liu Haisu, anlässlich einer Ausstellung chinesischer Kunst im Kunstverein Frankfurt einen Vortrag über moderne chinesische Kunst hält. Liu Haisu ist zu diesem Zeitpunkt Präsident der Shanghaier Kunstakademie und ein erklärtermaßen der Moderne verpflichteter Lehrer und Theoretiker, der sich der Förderung der chinesischen Kunst verschrieben hat, um, in seinen eigenen Worten, "eine neue Bestmarke im internationalen Austausch zu setzen". Zusammen mit Chinas erstem Minister für Bildung, Cai Yuanpei, der in Leipzig studiert hatte, ist er bestrebt, Werke führender zeitgenössischer Künstler aus China für groß angelegte Ausstellungen in Europa zusammenzutragen, und bemüht sich, mit europäischen Ländern Vereinbarungen hinsichtlich des kulturellen Austauschs zu schließen, die als langfristige Verpflichtung angelegt sein sollen. Der Schwerpunkt soll auf "modernen Werken" liegen.

Die Bemühungen Liu Haisus und Cai Yuanpeis tragen Früchte. Mit einer bemerkenswerten Folge von Ausstellungen 1934/35 in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Amsterdam, Den Haag, Bern, Zürich und London ernten sie nicht nur viel Beifall in der europäischen und Shanghaier Presse, sondern erreichen auch, dass ausgestellte Werke verkauft werden, und eine Dauerpräsentation moderner chinesischer Malerei in der Ostasien-Abteilung des Staatlichen Museums in Berlin eingerichtet wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommen einige dieser Werke als Beutekunst nach Russland.

Die zweite Sektion der Ausstellung trägt den Titel Xihua und zeigt die gleichnamige, durch den sogenannten "Western-Style" geprägte Malerei. 1931 gründeten aus Europa nach Shanghai zurückkehrende Künstler die juelanshe oder The Storm Society. Sie bevorzugten einen am Westen orientierten, die Gattungsgrenzen überschreitenden Stil, der in den bildenden und angewandten Künsten Ausdruck fand. Insbesondere den ästhetischen Theorien des Fauvismus, Kubismus und Surrealismus hatten sich die Mitglieder, u.a. Ni Yide und Pan Xunqin, verschrieben. Diese kurzlebige, aber wichtige moderne Bewegung ist alsbald in Vergessenheit geraten.


Der Schriftsteller und Revolutionär Lu Xun und die von ihm begründete Holzschnittbewegung stehen im Zentrum einer weiteren Sektion der Ausstellung. Der Holzschnitt kam in China Jahrhunderte lang nicht nur in künstlerischen, sondern auch in literarischen und philosophischen Kontexten in China zum Einsatz. Die Umformung dieser Tradition durch die Künstler der modernen Holzschnittbewegung und ihr Einsatz dieses Mediums zur Darstellung der tiefgehenden sozialen und politischen Veränderungen dieser Zeit stehen im Mittelpunkt dieser Sektion.

In einer groß angelegten Abteilung werden herausragende Werke der Modern Literati-Künstler Huang Binhong (1865-1955) und Pan Tianshou (1897-1971) vorgestellt. Beide Künstler verbinden in ihren Werken die guohua, die nationale Malerei, mit Kalligraphie und Dichtkunst und folgen damit einer langen Tradition der chinesischen Kunst, deren Formensprache nichts von ihrer Faszination einbüßt, gleichzeitig aber einer radikalen Erneuerung unterzogen wird.

Einer der sehr wenigen Künstler-Fotografen der Moderne in China, Long Chin San, wird in der Ausstellung durch eine Auswahl seiner Fotos dem europäischen Publikum vorgestellt. Seine "composite photographs" oder Collagen verbinden westliche Techniken in der Fotografie mit den sechs Grundregeln der chinesischen Malerei, die vor allem auf rhythmischer Harmonie und lebendigem Fließen beruhen.

Shanghai war ein Zentrum des Zeitgeistes in den 1930er Jahren. Die Lifestyle oder Shi Mao ("up-to-date") Sektion der Ausstellung dokumentiert diese Epoche durch zeitgenössische Mode, Zeitschriften, Fotografien und Werbematerial, die das lebendige Bild der Stadt unterstreichen. Werke zahlreicher anonymer KünstlerInnen geben einen Eindruck dieser ruhelosen Metropole.

Eine blühende Filmindustrie in Shanghai brachte "Movie Stars" wie die Schauspielerin Hu Die hervor. Sie reiste 1935 nach Deutschland, Großbritannien und Russland, in ihrer Begleitung war Mei Lan-Fang, der berühmteste Vertreter der Chinesischen Oper, der Sergej Eisenstein zu seinen Freunden und Bewunderern zählte. Einer von Hu Dies Filmen wurde 1935 in Berlin gezeigt. Auch in England war sie ein gefeierter Star und traf unter anderem mit Charlie Chaplin zusammen.

Die Entwicklung Shanghais vom bedeutenden Zentrum des Modernismus im 20. Jahrhundert zu einem kulturellen Zentrum Chinas im 21. Jahrhundert wird thematisch ebenfalls in die letzte Sektion der Ausstellung einbezogen. Einige der wichtigsten Künstler Shanghais der Gegenwart sind in der Ausstellung vertreten, u.a. Yang Fudong (Documenta 11 und Biennale di Venezia 2003) und Yang Zhenzhong (Biennale di Venezia 2003).

Künstler

Kultureller Austausch

Lin Fengmian
Liu Haisu
Teng Baiye

Moderne Literatenmalerei

Huang Binhong
Pan Tianshou

Literati-Fotografie

Long Chin San

Xihua und die Storm Society

Chen Baoyi
Chen Chengbo
Chen Quicao
Fang Ganmin
Guan Zilan
Pan Yuliang
Situ Qiao
Yan Wenliang
Guan Liang
Ni Yide
Pang Xunqin
Qiu Ti
Yang Taiyang

Lu Xun und die Bewegung des Neuen Holzschnitts

Chen Yanqiao
He Baitao
Hu Yichuan
Huang Shanding
Huang Xinbo
Lai Shaoqi
Li Hua
Li Qun
Lin Shizong
Liu Xian
Luo Qingzhen
Pan Xuezhao
Situ Zou
Wo Zha
Zhang Hui
Zhang Wang
Zheng Yefu

Film

Cai Chusheng
Chen Bugao
Fei Mu
He Mengfu
Shen Fu
Sun Yu
Tan Youliu
Wu Yonggang
Zheng Zhengqiu
Zhu Shilin
Hu Die
Shi Mao
An Lan
Cai Ruohong
Fu Ru
Huang Ding
Jin Meisheng
Mei Sheng
Wan Laiming
Wie Min
Xiu Tang
Zhang Er
Zhao Fang
Zhi Yin
sowie weitere anonyme KünstlerInnen

Shanghai 21. Jahrhundert

Chen Yanyin
Ding Yi
Hu Jieming
Liu Dahong
Luo Yongjin
Shi Yong
Wang Tiande
Yang Fudong
Yang Zhenzhong
Zhou Tiehai

Katalog

SHANGHAI MODERN 1919-1945

Hrsg. von Jo-Anne Birnie Danzker, Ken Lum, Zheng Shengtian. Hatje Cantz. Deutsch/Englisch. 424 Seiten, ca. 250 farbige Abbildungen. Preis 39,00 Euro.

Namhafte Künstler, Wissenschaftler und Kuratoren aus China, Nordamerika und Europa beleuchten die Aufbruchphase der Moderne in Shanghai sowie - zum ersten Mal - den regen kulturellen Austausch mit Europa. Historische Texte sowie neu für das Buch geschriebene Beiträge von den Kuratoren der Ausstellung und u.a. folgenden Autoren werden veröffentlicht: Bao Mingxin, David Clarke, Lu Fusheng, Shen Kuiyi, Shui Tianzhong, Michael Sullivan, Shelagh Vainker, Xu Hong, Xu Jiang, Zhang Qing, Zheng Dongtian.